Mittwoch, 16. März 2011

Mythen und andere Wahrheiten

Heute findet sich auf Spiegel Online ein Artikel von Sven Böll, der in gewohnter palastwachenmedienmanier, die Errungenschaft Euro gegen das dumme Volk verteidigt, das sich nach seiner D-Mark zurücksehnt.
Die Plebejer gehen dabei, hinterwäldlerisch wie sie nunmal sind, "5 Mythen" auf den Leim:

Die Debatte über die Zukunft der Währungsunion und damit auch die Schatten der D-Mark-Vergangenheit werden uns noch lange verfolgen. Egal ob jemand ein erklärter Euro-Gegner ist oder nur ein verträumter D-Mark-Nostalgiker, fast immer geht es um die gleichen fünf Mythen:
  • Die Deutschen sind ja nie gefragt worden, ob sie den Euro wollen.
  • Der Euro ist eine viel schlechtere Währung als die D-Mark.
  • Europa ist, wenn Deutschland zahlt und alle anderen profitieren.
  • Die Währungsunion lässt sich problemlos wieder auflösen.
  • Die europäische Integration funktioniert auch ohne den Euro.
Es ist höchste Zeit, diesen Fiktionen ein paar Fakten entgegenzusetzen, um die Debatte zu versachlichen. Dies soll in einer fünfteiligen SPIEGEL-ONLINE-Serie geschehen. Jeder Teil beschäftigt sich dabei mit einem Mythos.
Böll ist der reinste Aufklärer, nicht wahr? Er will Fiktionen Fakten entgegensetzen. Wäre er nicht ao aufklärerisch könnte man ihn glatt mit einem altertümlichen, christlichen Missionar vergleichen, der den barbarischen Germanen das Licht seines Evangeliums zu vermitteln sucht.

Eigentlich ist es müßig, über das Für und Wider dieser Argumentation zu diskutieren. Schließlich ist der Euro seit 1999 da und die Energie besser in die Lösung aktueller Probleme investiert als in das Beleben alter Diskussionen.
Ist Herrn Böll eigentlich klar, dass er gerade im Begriff ist, eine ganze Serie von Artikeln dem "Beleben" dieser "alten Diskussion" zu widmen? Aber nun auf zum ersten Mythos:

Aber der Glaube, der Euro sei über die Köpfe der Bevölkerung hinweg eingeführt worden, klebt an den Münzen so unangenehm wie Zuckerwatte an der Hand.
Ah sehr gut, nun nähern wir uns endlich den Fakten, die dem Pöbel zeigen, an was für Fiktionen er doch hängt.

Natürlich gab es keine Volksabstimmung über die Einführung der Gemeinschaftswährung. Dies war und ist im Hinblick auf die Akzeptanz des Euro ein Fehler. So wie es insgesamt ein Problem der EU ist, dass sie vorwiegend als Projekt der Eliten verstanden wird.
Öhm, Herr Böll? Ihnen ist schon klar, dass Sie dem dummen Plebs hier faktisch recht geben, oder? Also, mit der Aussage, dass niemand das minderbemittelte Volk gefragt habe. Und Sie geben Ihnen nicht nur in der faktischen Frage recht, sondern Sie sagen sogar, dass man den Pöbel in der Tat hätte fragen sollen. Wo ist dann bitte der Mythos, wo die Fiktion?

Nur kann man dem Euro nicht ernsthaft anlasten, dass die Deutschen nie direkt über ihn abstimmen durften. Die Bundesrepublik war und ist eine repräsentative Demokratie.
Man kann es dem Euro nicht anlasten? Aber Böll schreibt doch diesen Artikel, weil die Bürger es ganz offensichtlich tun, also können sie es scheinbar doch, oder? Im übrigen, vielen Dank, Herr Oberlehrer, für die Lektion in Sachen repräsentativer Demokratie. Wer wäre darauf nur von allein gekommen?

Aber illegitim ist der Euro deshalb noch lange nicht. Der Bundestag hat die Maastrichter Verträge passieren lassen. Hätten die Bürger das verhindern wollen, hätten sie andere Volksvertreter wählen müssen.
Jetzt geht es auf einmal um die Legitimität? Die rechtliche Legitimität zieht doch kaum jemand in Zweifel. Böll wollte doch lediglich als Fiktion entlarven, dass der Bürger nicht befragt wurde und diesen Mythos, den er sich selbst zurecht geschrieben hat, um ihn widerlegen zu können, hat keine Aussage zur Legitimität beinhaltet. Aber jetzt verstehe ich, weshalb Böll meint, dass der Bürger es dem Euro nicht anlasten kann: Weil der Bundestag es so bestimmt hat und das letztlich heißt, dass der dumme Plebejer seinen Mund zu diesen Angelegenheiten zu halten hat. 

Der Hinweis auf die repräsentative Demokratie ist verheuchelt, weil eine Demokratie nur dann repräsentativ bleibt, wenn die Repräsentanten den Bürgern gegenüber rechenschaftspflichtig sind. Wären die Eurokraten, selbst wenn man sie in jedem Wahlkreis abgewählt hätte, durch die Parteilisten wieder in den Parlamenten gelandet? Darauf können sie Gift nehmen.

Und wie die Frage danach, ob die demokratische Wahl einer Partei die, die Auflösung der Demokratie zum Ziel hat, überhaupt demokratisch sein kann, unter politisch denkenden Menschen umstritten ist, kann man darüber spekulieren, ob die schrittweise Auflösung einer souveränen Republik zugunsten eines definitiv undemokratischeren Staatenverbunds, in diesem Sinne beanspruchen kann demokratisch zu sein. Die Frage, ob Belange der Verfassung, Souveränität und der Begrenzung der Regierungsgewalt, so einfach der politischen Klasse überlassen werden können, die durch diese Rahmen begrenzt werden soll, ist natürlich ebenfalls eine Frage nach der Grenze von Respräsentativität in Demokratien.

Aber Böll schert sich wenig darum, was "repräsentative Demokratie" eigentlich heißt. Für ihn und seine Genossen handelt es sich bei diesem Begriff nur, um ein legitimierendes Instrument, dass unsere Elitenherrschaft über jeden Zweifel erhaben machen soll, in Wahrheit allerdings wenig mit Demokratie (repräsentativ oder nicht) zu tun hat. Bei dieser Propaganda ist nicht wichtig, was Mythen und Fiktionen sind, dass diese sich als faktisch korrekt entpuppen oder dass es sich bei den Tatsachen, die man ihnen entgegenbringen will, um nicht anderes handelt, als Werturteile, die lediglich die eigenen politischen Präferenzen widerspiegeln, welche unter dem Licht der Mythen-Fakten gar nicht gut darstehen. Böll hält politischen Tatsachen seine eigene politische Meinung entgegen, nichts weiter. 

Diese Präferenzen sind im Falle Sven Bölls offensichtlich: Ein Staat in dem die politische Klasse, schalten und walten kann, wie sie will und vom Bürger letztlich nur davon abgehalten werden kann, indem er all die Kartell-Parteien abwählt, die ähnliche Vorstellungen von "Demokratie" hegen. Die Alles-oder-Nichts-Demokratie, die den Bürger von praktizierter Politik so weit wie nur möglich fern hält und diesen nur als Legitimationsinstanz für Dinge gebraucht, die unsere politische Klasse ohnehin tun will.

Und solcher Propaganda bietet Spiegel Online, das Sturmgeschütz der Demokratie, Raum? Wohl eher Sturmgeschütz der politischen Klasse.

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