Dienstag, 1. März 2011

Der Guttenberg-Rücktritt und die Bürgerlichkeit der Unionsparteien

Verteidigungsminister Guttenberg gab heute Mittag eine Pressekonferenz, in der er seinen Rücktritt erklärte und damit eine Wochen andauernde, peinliche Affäre um Plagiate in seiner Doktorarbeit beendete. Wie es Tradition in der Union zu sein scheint, bestritt Guttenberg die Vorwürfe zunächst, nur um letztlich doch Schritt für Schritt, Scheibchen um Scheibchen zugeben zu müssen, was sich ohnehin nicht länger leugnen ließ.


Nun soll man nicht mehr Worte auf diesen Hochstapler verwenden als notwendig. Worauf man bei der Affäre Guttenberg allerdings achten sollte, ist die politische Kulisse, vor der sie gespielt wurde. Damit ist nicht die laute und eifrige Kritik der politischen Linken gemeint, mit Hilfe derer man in der Union versuchte Guttenberg, das klassische Freund-Feind-Schema und das damit einhergehende Schließen der Reihen anmahnend, vor einem Rücktritt zu bewahren. Es ist die bezeichnende Reaktion der Unions-Parteien auf die Affäre Guttenberg, der man seine Aufmerksamkeit widmen sollte.

In dem lesenswerten Kommentar "Die Irrtümer der Guttenberg-Gegner" seiner Spiegel-Online Kolumne "Der Schwarze Kanal" schreibt der Altkonservative Jan Fleischhauer:

Eine unverzeihliche Schlamperei bei den Fußnoten - und schon droht den "Fundamentalwerten einer bürgerlichen Gesellschaft" irreparabler Schaden, wie die Opposition nun barmt. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass Guttenberg gerade kein Bürgerlicher ist, wie schon ein Blick auf die Liste seiner Vornamen zeigt, vom Freiherren ganz zu schweigen. Wenn überhaupt, dann lässt der fahrlässige Umgang mit den Usancen des Wissenschaftsbetriebs ein Standesbewusstsein erkennen, wie es dem Adel seit jeher eigen ist.
Fleischhauer hat selbstverständlich recht, wenn er diese Affäre als eine charakterisiert, die vor feudalem Standesdünkel nur so trieft. Doch die Frage ist, ob sich dieses Problem allein auf Guttenberg beschränkt oder ob diese Disposition die Unionsparteien an sich und ihren Anspruch auf Bürgerlichkeit trifft. Wie steht es um die Bürgerlichkeit der Unions-Parteien? Nehmen wir ganz einfach mal zwei Aussagen führender Persönlichkeiten des bürgerlichen Lagers:

Bundeskanzlerin Angela  
Merkel:
Ich habe eine Berufung bei Karl-Theodor zu Guttenberg vorgenommen zum Verteidigungsminister. Ich habe keinen wissenschaftlichen Assistenten oder einen Promovierenden oder einen Inhaber einer Doktorarbeit berufen, sondern mir geht es um die Arbeit als Verteidigungsminister. Die erfüllt er hervorragend, und das ist das, was für mich zählt.
Bundestagsabgeordneter Philipp Mißfelder:
Trotzdem finde ich es komisch, wie Sie hier in nahezu allen Wortbeiträgen eine Zuständigkeit für sich reklamieren, die wir im Deutschen Bundestag nicht haben; denn die Entscheidung darüber, wie es mit dieser Doktorarbeit weitergehen wird, obliegt nicht uns, sondern der Uni Bayreuth. Sie – und nicht wir hier im Deutschen Bundestag – wird eine Klärung herbeiführen.
Was beiden Aussagen gemein ist, ist die unpolitische Haltung: Als wäre ein Minister der Bundesrepublik Deutschland der Öffentlichkeit gegenüber nicht rechenschaftspflichtiger, als jede x-beliebige Kassiererin an einer Supermarktkasse. In der Tat scheint es so, als verstünden beide die Position des Verteidigungsministers als reine Verwaltungssache, bar jeder politischen Verantwortung über den reinen Gesetzestext hinaus und Kritiker des Lügenbarons würden sich der Majestätsbeleidigung schuldig machen oder Guttenbergs Privatssphäre verletzen, wenn sie darauf hinweisen, dass sich die Bürger, die vom Bundestag vertreten werden, nicht von einem ihrer Minister belügen lassen müssen. 


Die politische Lüge wird hierzulande inzwischen wie ein Kavaliersdelikt gehandhabt, obwohl sie konsequent durchdacht nichts anderes repräsentiert, als einen sanften Anschlag auf die Souveränität des Bürgers. Als Bürger kann man am Eigeninteresse und am Gemeinwohl orientierte Entscheidungen nur dann abgrenzen und treffen, wenn man über die dazu notwendigen Informationen verfügt. Dies gilt sowohl für Entscheidungen bezüglich des Charakters von politischem Führungspersonal, wie auch für Sachfragen. Den Informationsstand des Bürgers durch Desinformation oder gezieltes Auslassen relevanter Fakten zu manipulieren, um zu gewährleisten, dass der Bürger zu gewissen Schlußfolgerungen kommt oder nicht kommt, spricht dem Bürger letztlich ab seine Interessen vertreten zu dürfen oder sie vertreten zu können. Nach diesem Verständnis heiligt der Zweck die Mittel und der Bürger ist Mündel oder Stimmvieh aber nicht Souverän.


Man kann von den Unions-Parteien nicht sagen, dass sie sich in dieser Geschichte wie Guttenberg verhalten hätten, da man davon ausgehen darf, dass tausende Unionsanhänger ebenso von Guttenberg belogen wurden wie der Rest der Gesellschaft. Eben das ist der springende Punkt: Guttenberg belog nicht einfach nur die linke Opposition sondern die gesamte Öffentlichkeit, also auch den unionstreuen Teil. Dies führte, abgesehen von der in der Tat rühmlichen Ausnahme Norbert Lammerts, nicht dazu, dass der Minister konsequent aus der Union heraus kritisiert und zum Rücktritt aufgefordert wurde. Die Ursache dessen ist fast schon zu banal, um sie tatsächlich noch auszuschreiben, aber ich tue es trotzdem: Die Politiker der Union (und nicht nur dort) sind eben noch bevor sie Bürger sind, die von einem Minister belogen wurden, Parteigänger eben jenes Ministers. 


Der Zweck, der die Mittel heiligt? Dem Bürger faktisch das Recht absprechen seine eigenen Interessen formulieren und vertreten zu können und zu dürfen? Ein Regierungsverständnis, das darauf hinausläuft, dass konsequente Rechenschaftspflichtigkeit der Politiker mit effizienter, Gemeinwohl-orientierter Regierungsarbeit unvereinbar ist? Ein Bewußtsein in dem Parteigängertum und Funktionärssolidarität, das Bürgersein und den Bürgersinn in der Republik (den Patriotismus?) mühelos ausstechen?


Es darf einem bei der Auflistung dieser politischen Abartigkeiten getrost die Frage in den Sinn kommen: Hat die Union eigentlich tatsächlich ein Feudalismus- oder ein Leninismus-Problem? Aber vielleicht spaltet man da auch nur Begriffe, die sich letztlich nicht sinnvoll spalten lassen. Wie sagte Wolfgang Leonhard noch so treffend?
Der real existierende Sozialismus der DDR und der Sowjetunion war für mich später industrieller Feudalismus.
Egal zu welcher Entscheidung man letztlich in dieser Frage gelangt, eines ist jedenfalls sicher: Das Ergebnis ist definitiv nicht Bürgerlich.

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